Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 04.06.2012

Ein Wolkenbruch der Stimmen im trockengelegten Schwimmbad

Von Christian Strehk

Kiel. Die Intelligenz des Schwarms, der Wert des Individuums, die Widersprüchlichkeit von Gruppen – all das schwang mit in der erfrischend unkonventionellen „Aqua-Pella“-Performance, die sich der Philharmonische Chor Kiel am Sonnabend leistete, ja im besten Sinne selbst „zumutete“. In der vollbesetzten Lessinghalle, als Konzertort von wahrhaft schrägem Charme, schwamm sich das sonst stets orchestral flankierte Ensemble erstmals mit einem A-cappella-Konzert frei.

Die hoch ambitionierte Chorleiterin Barbara Kler führte, unterstützt von Stimmbildnerin Brigitte Taubitz, den Chor bewusst in Grenzbereiche des Vokalen. Wunderbar, wie vor allem der End- und Höhepunkt als eine Art künstliches Naturereignis gelang: Als die postmodernen Klänge, Geräusche, Flüstereien und Schreie in Cloudburst vom aktuellen „In“-Komponisten Eric Whitacre aus 60 linear verteilten Kehlen auf die Hörer im trockengelegten Schwimmbecken herabgeregnet waren, atmosphärisch schön gewittrig angereichert vom Schlagwerkensemble des Ernst-Barlach-Gymnasiums, war das Applausecho aus der Tiefe zu Recht gewaltig.

Davor hatte Kler zwar auch Mendelssohns Nachtigall schlagen lassen, auf Carl Orffs mythologische Archaik gesetzt oder (in kleiner Besetzung) wetterleuchtend Heinrich Schütz’ Madrigal Ride la primavera zwischengeschaltet. Noch wichtiger schienen der polnischen Neue-Musik-Spezialistin aber querkehlige Herausforderungen wie der vieldeutige Sprechgesang in Clytus Gottwalds imposanter Chor-Transformation von Pierre Boulez’ Adorno-Aufsatz ... über das, über ein Verschwinden. Wer sich schon einmal mit grafischer Notation abgequält hat, zeigt hohen Respekt vor den ausdrucksintensiven und rhythmisch pulsierenden Ergebnissen.

Manchmal, das gehörte dazu, führte der Mut auch an den Rand des Abgrunds. Dann knirschte es etwa im extrem fordernden, 40-stimmigen (!) Tongebälk von Thomas Tallis’ Motette Spem in alium gewaltig. Doch führte auch hier die Aufstellung in vier Gruppen zum erwünschten Raummusik-Effekt: In guten Momenten verwandelte sich die Lessinghalle in eine Kathedrale der Kunst.

Zuletzt geändert am 04.06.2012