Kieler Neueste Nachrichten, 14.03.1920
V. Symphoniekonzert. Der Saal des Gewerkschaftshauses war voll besetzt. Alle Anwesenden werden ihn wohl voll befriedigt, ja erhoben verlassen haben. Die Wahl von Frau Frieda Kwast-Hodapp als Solistin war eine sehr glückliche. Eine Meisterin des Klavierspiels, die zu einer Zeit, als ein Eintreten für Max Reger noch nicht als dankbar gelten konnte, mutig und tatkräftig ihre Kunst in kongenialer Weise für dessen Werke einsetzte, sang und dichtete am Flügel. Technische Schwierigkeiten erscheinen unter ihren Fingern einfach und selbstverständlich. Die hervorragende Künstlerin verfügt in gleicher Vollendung über Kraft und Zartheit, ohne daß ihr Anschlag hart oder weichlich würde. Ihre Auffassung ist durch und durch musikalisch; bei abgeklärtester Empfindung besitzt Frieda Kwast-Hodapp scharfen Rhythmus. Kurzum: ihr zu lauschen, bedeutet im wahren Sinne des Wortes einen Kunstgenuß. Daß das von ihr wohl 1897 erstmalig öffentlich gespielte Beethovensche Klavierkonzert in G-dur mit einer vermutlich aus der Feder von James Kwast stammenden Kadenz, in solcher Vollendung vorgetragen, tiefe Wirkung ausüben mußte, braucht kaum erwähnt zu werden. Aber auch die Interpretation der Variationen über ein Paganinisches Thema von Brahms war eine erstklassige Leistung. Das Publikum ruhte nicht eher, als bis ihm nicht weniger als noch fünf Zugaben gespendet wurden. — Einen tiefen Eindruck erzielte auch das vom Oratorienverein tonschön und innig ausgeführte Brahmssche „Schicksalslied“, dessen tiefempfundene Wesensart der Dirigent des Abends, Prof. Dr. Stein, voll auszuschöpfen verstand. Das Orchester stand dabei auf schöner Höhe, sogar höher als bei der das Kkonzert eröffnenden dritten Sinfonie von Brahms, deren Tempi mitunter befremdeten, weil sie von den vom Komponisten selbst gebrauchten, besonders im ersten und letzten Satze, nicht unwesentlich abwichen. Prof. Th. Gerlach.