Kieler Neueste Nachrichten, 16.12.1927
Weihnachtskonzert in der St. Nikolaikirche.
Die umfangreiche und vielseitige Vortragsfolge des Weihnachtskonzerts, das der Verein der Musikfreunde am Mittwochabend in der St. Nikolaikirche veranstaltete, ließ den reichen Stimmungsgehalt, den die Weihnachtszeit auszulösen vermag, nach den verschiedensten Seiten hin erklingen, dem hellen Sonnenlicht vergleichbar, das sich in mancherlei bunten Farben bricht: Ein Concerto grosso des italienischen Geigenmeisters Arcangelo Corelli (1653—1713), von dem manches gehaltvolle Violinstück noch heute unter den Darbietungen unserer Geiger seinen festen Platz innehat, leitete den Abend würdig ein, als orchestrales Weihnachtsstück schon äußerlich gekennzeichnet durch den Zusatz „fatto per la notte di Natale“. Diese von A. Schering wirkungsvoll bearbeitete Komposition erwies sich in der Darstellung durch das städtische Orchester unter Beteiligung der Orgel (Dr. Deffner) besonders reizvoll in dem Wechsel zwischen Solisten (die Konzertmeister Träger, Heinrich und de Jager) und dem vollen Orchester, das seinerseits bald die Thematik der Einzelinstrumente wiederholend bestätigte, bald sie in weitergespannten Bögen fortsetzte und ergänzte. Die klare, durchaus vom Generalbaß beherrschte Struktur des anmutigen Werkes kam unter Professor Steins wohlabwägender und zielsicherer Leitung zu übersichtlicher Darstellung. In ein liebliches Pastorale klang die Komposition aus.
Dann erhielt der große Vermittler zwischen den musikalischen Kunststilen Italienns und Deutschlands, Heinrich Schütz (1585—1672), das Wort mit zwei herrlichen Werken seiner vielgewandten Komponistenfeder, dem deutschen Magnifikat („Lobgesang der Maria“) für achtstimmigen Chor a cappella, das der 86jährige Meister 1671 als sein letztes Werk schrieb (herausgegeben von Karl Straube), und dem großen Magnificat für Doppelchor, Orchester und Orgel in der Herausgabe von Heinrich Spitta. Hat man im deutschen Magnificat vor allem den Eindruck einer glücklichen Vereinigung der reinen Schönheit des Palestrinastils mit der kernhaften, soliden Kontrapunktik deutscher Meister, so leuchtet in dem großartigen doppelchörigen Werk ein Glanz und eine Farbenpracht auf, wie ihn die berühmten Italiener Gabrieli in ihren Kompositionen, die Meister Schütz an der Quelle kennen lernte, zu entfalten vermochten; und dennoch verstand es Schütz, auch hier das glänzend in die Erscheinung tretende konzertierende Moment mit dem strengen Kirchenstil aufs glücklichste zu verschmelzen. In der Tat eine hohe und schwere Aufgabe, die hier wie dort seitens der darstellenden Klangkörper der Lösung harrte. Daß diese Lösung hier (Doppelchor) wie dort im deutschen Magnificat nicht allein im Hinblick auf die zu überwindenden gesangstechnischen Schwierigkeiten, sondern auch in Rücksicht auf Intonation, Dynamik und Vortrag vortrefflich gelang, verdient uneingeschränkte Anerkennung für alle an der Ausführung Beteiligten, nicht zum letzten für den Dirigenten, Professor Stein.
Recht bedeutende Anforderungen, vornehmlich wegen seiner sehr hohen Stimmlage, stellte an die Sänger — besonders an die Soprane — auch Hugo Wolfs „Christnacht“, ein Werk, das klanglich ganz außerordentlich reich ausgestattet ist, ja an einzelnen Stellen sogar klanglich etwas überladen erscheint. Die Sänger, vor allem die Solisten, hatten es zeitweilig keineswegs leicht, sich durchzusetzen, was ihnen aber doch durchweg, wenn auch mit ungleichem Erfolg, gelang. Hugo Wolf strebt in dieser tonlich groß und weit angelegten Komposition sozusagen über den engen Raum, den die Krippe zu Bethlehem kennzeichnet, hinaus und folgt den Auswirkungen des heiligen Mysteriums bis in das All. Reger dagegen hält sich in seiner entzückenden Choralkantate „Vom Himmel hoch, da komm' ich her“ mehr an den altvertrauten, lieben Choral, der an sich schon ein Stück deutscher Weihnacht bedeutet, und weiß ihm in abwechslungsreicher musikalischer Gestaltung immer wieder neue, feine Wendungen und Ausdeutungen abzugewinnen: bald Violine, bald Gesangssolo, bald Duett, bald Frauenchor, bald gemischter Chor mit motivisch vielgestaltiger, reizvoller Begleitung von Violine und Orgel, und dazwischen Beteiligung des gesamten Klangkörpers mit Einschluß der Hörerschaft. Das schöne Werk gelang vortrefflich.
Mia Hüper-Buff sang die erforderlichen Sopranpartien mit gutem Vortrag; auch gesanglich-musikalisch vermochte sie zur Hauptsache wohl zu befriedigen; die Tongebung neigte anfangs zum Tremolo, wurde aber im weiteren Verlaufe des Konzertabends wesentlich ruhiger und stetiger. Auch Dr. Hans Hoffmann (Tenor) setzte seine sympathischen Klangmittel und sein sicheres musikalisches Können mit durchweg erfreulichem Erfolg ein, vermochte allerdings nicht immer genügend durchzudringen. Ebenso beteiligte sich eine Dame vom Chor solistisch angemessen. An der Orgel wirkte Dr. Oskar Deffner mit bekannter Künstlerschaft. Seine Registrierung war wertvoll. W.O.