Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 30.11.1987

Altvertraute Klassiker in unvertrautem Habitus

Mozartkonzert mit Städtischem Chor und Philharmonischem Orchester unter Imre Sallay

Dem Anspruch, unbekannte Werke aus des Meisters höchsteigener Feder oder aus dessen Umkreis vorzustellen, wurde das 2. Mozart­konzert in der Petruskirche zweifellos gerecht: Haydns Sinfonia con­certante B-Dur Hob. I:105 und von Mozart das vermutlich bereits 1769 in Salzburg entstandene Te Deum C-Dur KV 141/66b sowie die „Große Sakramentslitanei“ Litaniae de venerabili altaris Sacramento ES-Dur KV 243 für Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel — da kommen uns die altvertrauten Klassiker wirklich in unvertrautem Habitus entgegen, und man könnte manche Zeile auf die Frage nach der starken Tradi­tionsbindung dieser Werke verwenden. Aber das ist Seminarstoff.

Imre Sallay, der Leiter des Städtischen Chors und als Chordirektor der Kieler Bühnen bei zahllosen Opern und Aufführungen sozusagen indirekt und hinter den Kulissen mit von der musikalischen Partie, war diesmal selbst ans Pult getreten: Unter seiner Leitung musizierten der Städtische Chor und das Philharmonische Orchester der Stadt Kiel, und da war das Interesse groß und die Kirche ausverkauft.

Beim Te Deum indessen staunte man nicht nur über den unge­wohnt altüberkommenen Habitus des Meisters (und über die Beset­zung: die jedenfalls in der Neuen Mozartausgabe verzeichneten Trompeten waren kommentarlos gestrichen), sondern auch über das derangierte und eigentlich noch kaum konzertsaalfähige Klangge­wand. Der Chor agierte mit Verve und ohne Präzision, das Orchester ohne beides, und etliche „Zeitverschiebungen“ trugen ein übriges bei zum arg verwackelten Auftakt.

Haydn’s Concertante wurde dann zwar einigermaßen wohlklingend über die Rampe gebracht, aber interpretatorisch doch auch recht pro­fillos. Orchester und Dirigent zeigten wenig Neigung, sich der (baß- und bläserlastigen) Kirchenakustik anzupassen, und das Werk er­klang in konturlosem Standard-Espressivo, das zum eleganten Esprit dieser brillanten Unterhaltungsmusik schwerlich passen wollte. Impul­se gingen, wenn überhaupt, dann weniger von Sallay als vom insge­samt gut disponierten Solistenquartett aus, vor allem von Gábor Csapós klangschönem, ausdrucksvollem Violinspiel; stilistisch traf Jörg Lange mit seinem Fagott den Charakter des Werkes recht gut, wäh­rend Michael Rosenbergs Oboe mitunter allzu lieblich sang und Gerda Angermanns Cello (auf meinem Platz) nur schwer auszumachen war.

So war die Litanei zweifellos der klangvolle Höhepunkt des Abends. Zumindest der Chor schien wie ausgewechselt, zeichnete die Konturen der Stimmführung in klaren Linien nach, deklamierte etwa im dynamisch-kontrastreichen Hostia sancta und im Tremendum aus­drucksvoll und mit Nachdruck und meisterte, vom Blech schlagkräftig unterstützt, selbst die rhythmisch überaus kniffelige Pignus-Fuge mit Anstand. Am Orchester jedoch gingen solche Anstöße überwiegend spurlos vorüber — einerseits, weil Sallay hier als Gestalter (erkennbar etwa am ungefügen Übergang zum Viaticum) nicht genügend präsent war. Andererseits aber wird man das nahezu chronische Mauscheln der Violinen kaum dem Dirigenten allein anlasten können.

Unter den Vokalsolisten bot Ute Raithel eine überaus eindrucks­volle Leistung. Zwar ist ihr Timbre nicht ganz rein, aber die Stimme ist schlank und geschmeidig, die Intonation makellos, und auch filigrane Verzierungen und Koloraturen erklingen in klarem rhythmisch-melodi­schem Profil. Ihre beiden Arien sang sie in wunderbarer Phrasierung und dynamischer Gestaltung. Angenehm im Klang ist Tibor Tóths Tenor; Koloraturen indessen kamen profillos, manchmal war der Ton­ansatz etwas unsicher, und insgesamt wirkte Tóth leicht angestrengt. Als klangvolle und sichere Partner im solistischen Zusammenwirken erwiesen sich Marita Dübbers und Attila Kovács, denen Mozart Einzel­aufgaben hier vorenthält.

Am Ende lebhafter Beifall, aber wohl doch auch einige uneinge­löste musikalische Ansprüche. db

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