Volkszeitung, 10.03.1952
Verdis Messa de Requiem
Aufführung des VdM in der Kieler Petruskirche
In Deutschland wird man kaum eine Aufführung erleben, die dem wirklichen Charakter des Werkes entspricht. Wir werden uns damit abfinden müssen. Verdis große „musikdramatische Totenklage“ um seinen Freund Manzoni in abgekühlter, protestantischer „Uebersetzung“ zu hören. Das leidenschaftliche, theatralisch gestimmte religiöse Pathos, das Verdis Werk melodiös durchflutet, erscheint deutschen Dirigenten und Hörern als zu opernhaft. Georg C. Winkler, der auch den Bühnen-Verdi sehr substantiell und strukturell musiziert, legt auf dieser Anschauungsbasis auch die Requiem - Aufführung fest. Die dramatische Akzentuierung wurde unter seiner Führung wohl erfüllt, die große, strömende Kantabilität aber sowohl im Orchester als auch bei Solisten und Chor zurückgedrängt. Das Orchester erklang dezent-präzise, jedoch ohne die Süße, die Verdi noch in den Schmerz zu legen versteht. Der Städtische Chor zeigte sich beachtlich der großen Aufgabe gewachsen, die Unterstützung durch den Herrrenchor der Städt. Bühnen erwies sich namentlich bei den Bässen als sehr vorteilhaft. Die Solisten schienen ein wenig vom Temperatursturz des Tages beeiunflußt zu sein. Anneliese Kupper (Sopran) half sich weitgehend mit gesangstechnischen Routine-Mitteln (Abdecken und Anschieben exponierter Töne), so daß sie die Möglichkeiten ihrer Partie nicht voll ausschöpfte. Oskar Röhling (Tenor) schien gelegentlich in den großen Gesangsstil ausbrechen zu wollen, fügte sich aber — vielleicht stimmlich auch etwas gehemmt — in den Oratorienstil, den Gerhard Gröschel (Baß) mit seinem sehr vornehm tembrierten Organ am klarsten vertrat. Auch Marga Höffgen (Alt) besitzt ein kultiviertes, sehr ansprechendes Organ und überzeugendes Stilgefühl, das sie nur durch die Manier des deutschen Oratorienstils — nämlich alle Vokale stark abzudecken — beeinträchtigt.
Die Aufführung war sehr stark besucht. (Nur die Kieler Straßenbahn wußte anscheinend nichts von ihr.) Als erfreulichstes Ergebnis (an dem Karl Eckert, der den Chor studierte, großen Anteil hat) ist festzuhalten, daß dieser Städtische Chor alle weiteren großen Aufgaben künstlerisch voll befriedigend zu lösen imstande sein dürfte. A. K.
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Siehe auch: Dr. Hellmut Steger