Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 20.06.1962

Barocke Pracht und Glaubensinnigkeit

Bruckners „Dritte“ im Festkonzert zur Kieler Woche

Neben den Premieren und Festaufführungen mit prominenten Gästen steuerten die Bühnen der Landeshauptstadt auch ein Fest­konzert des Städtischen Orchesters zu dem kulturellen Teil der Kieler Woche bei.

Das vielleicht etwas umfangreiche Programm wurde mit dem „Schicksalslied“ von Brahms eingeleitet, dessen vokalen Part der Städtische Chor und der Theaterchor (Einstudierung: Christian Süß und Paul Pflüger) gemeinsam übernommen hatten. Unter der Leitung von Musikdirektor Niklaus Aeschbacher kam es — wenn man sich ein­zelnes zügiger, in der Artikulation deutlicher und in den Einsätzen be­stimmter (z. B. in den Männerstimmen) hätte vorstellen können — zu einer im ganzen sorgfältig ausgefeilten und profilierten Wiedergabe.

Daß sie allerdings kaum nachhaltigen Eindruck hinterließ, liegt — nach Meinung des Rezensenten — hauptsächlich an der Komposition selbst. Brahms hat in ihr trotz bedeutender melodischer und harmo­nischer Schönheiten seine Textvorlage nicht bewältigt. Das Hymnische der Hölderlinschen Verse wird durch die musikalischen Mittel nicht gesteigert, sondern eher beeinträchtigt. Die klassizistisch-formale Rundung widerspricht des Dichters unaufgelöster Gegenüberstellung göttlicher Schicksalslosigkeit und menschlicher Schicksalsträchtigkeit. So wurde ein schwacher Brahms daraus, weil der Komponist ihm offensichtlich gesteckte Grenzen vergeblich zu überschreiten suchte. Man muß sich aus diesem Grunde fragen, ob es für die Chöre nicht eine dankbarere Aufgabe als Beitrag zur Kieler Woche gegeben hätte.

Griegs Klavierkonzert a-Moll, mit dem anschließend der Osloer Pianist Robert Rifling zu hören war, ist, wenn man es leicht und musikantisch nimmt, eine annehmbare gehobene Unterhaltungsmusik mit einigen reizvoll folkloristisch gefärbten und durchaus poetischen Wendungen. Der Versuch ber, in ihm gleichsam ein musikalisches „Seelendrama“ zu geben — der Solist unternahm ihn leider —, ist zweifellos des Guten zuviel, denn er enthüllt die mangelnde geistige Qualität der Komposition. Bei durchaus solider pianistischer Technik war die pathetische und leidenschaftlich bewegte Auffassung des Künstlers, der sich Niklaus Aeschbacher, um der Einheitlichkeit der Wiedergabe willen, anschließen mußte, — um es schlicht zu sagen — „von vorgestern“.

Dagegen wurde die Aufführung von Bruckners Dritter Sinfonie durch das von Streichern des RIAS-Jugendorchesters verstärkte Städtische Orchester zu einem Gipfelpunkt des Konzertes. (Immerhin vergingen drei Jahre seit der letzten Aufführung einer Bruckner-Sinfonie in Kiel). Wenn auch in der kurzen gemeinsamen Probenzeit nicht jedes Detail bis ins letzte durchgefeilt und abgestimmt werden konnte, so strahlte die Wiedergabe doch barocke Klangpracht und festlichen Glanz aus.

Einige der Piano-Perioden, mit denen Bruckner immer von neuem zu weiträumigen Steigerungen ansetzt, hätte man sich im ersten Satz (Beginn der Durchführung) und im Adagio vielleicht etwas zielstrebiger denken können, aber mehr und mehr gewann die Aufführung an Klar­heit, an mitreißendem Schwung (Scherzo), und die machtvolle Schluß­steigerung des Finales war von Niklaus Aeschbacher konsequent und zielsicher angelegt. Ein Sonderlob gebührt dabei den Bläsern, die die anspruchsvollen Schwierigkeiten des Brucknerschen Bläsersatzes technisch zuverlässig und mit klanglicher Frische meisterten. Und Günstigeres läßt sich wohl kaum über die Wiedergabe sagen als dies: daß sie nämlich die Gottnähe und die Naturverbundenheit, aus der heraus Bruckners Sinfonik erwächst, wirklich spürbar machte.

So war denn auch die stürmische Begeisterung, die sich nach dem glanzvollen Schluß im Publikum erhob, ein verdienter Lohn für den Dirigenten und alle Mitwirkenden. -ün

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Siehe auch: P. D.

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