Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 16.03.1977

„Von deutscher Seele“

Pfitzners Kantate im 6. Kieler Sinfoniekonzert

Von Susanne Materleitner

„Die Gedankenwelt in die Wirklichkeitswelt zu bringen, ist ein beschwerlicher Transport, bei dem immer viel verlorengeht“

Hans Pfitzner

Was wohl bei Pfitzners romantischer Kantate „Von deutscher Seele“ auf dem Transport verlorengegangen sein mag, wagt der Hörer kaum auszudenken angesichts des Überflusses, der da auf ihn zukommt. Vielleicht war es nur die vom Meister selbst mit so viel Aufwand gepriesene „Innerlichkeit“, die dabei auf der Strecke blieb. Vielleicht fehlt vielen von uns Anno 1977 auch das Verständnis für dergleichen nationales Pathos, das sich ja selbst in den lyrischen Passagen des Werkes nie verleugnet.

Die Kantate wurde schon 1922, im Jahr der Berliner Uraufführung, hier präsentiert, wärend der Kieler „Stein-Zeit“, mehr oder weniger respektvoll-witzig so genannt nach dem hiesigen Wirken Fritz Steins, der später, von 1933 bis 1945, Direktor der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin war. Damals muß sie ein großes Ereignis gewesen sein, getränkt und getragen vom Nationalbewußtsein der Deutschen nach einem verlorenen Krieg. Doch auch Wulf Konold bezeugt in seiner 1975 erschienenen Arbeit über „Weltliche Kantaten im 20. Jahrhun­dert“, daß das Werk zwischen 1948 und 1973 zu den meistgespielten sinfonisschen Kantaten innerhalb jener Zeit gehörte. (Bedenkt man indes die Anzahl jener Kantaten überhaupt, so will dies nicht allzuviel besagen.)

Immerhin: Das Stück ist reicher und differenzierter, als die Auffüh­rung erkennen ließ. Trotz der höchst geforderten, stimmprächtigen und kultivierten Vokalsolisten, deren Timbres vollendet miteinander korrespondierten (Lucy Peacock, Hildegard Laurich, Peter Maus und Günter Reich), trotz deer vorzüglich studierten Chöre (Städtischer Chor Kiel unter Eberhard Schenk, Norddeutscher Madrigalchor unter Raimund Schneider), trotz eindringlich interpretierter kammermusika­lischer Einzelheiten vor allem der Solisten des Kieler Philharmonischen Orchesters blieb das Ganze ein recht zähflüssiger Brei, aus dem GMD Walter Gillessen nur selten orchestrale Nuancen herauszufiltern ver­mochte. Vielleicht hätte er mehr Zeit zu Proben gebraucht, vielleicht auch hätte er das Werk weniger direkt, reflektierter also, in Angriff nehmen müssen.

Natürlich muß man ihm zugute halten, daß schon Pfitzners Auswahl der Eichendorff-Texte nicht sehr glücklich war. Zudem hat Pfitzner Eichendorffs Lyrik kompositorisch weit stärker überanstrengt als Schumann, Reger oder Hugo Wolf. Es gibt hier keine einzige Melodie des „letzten Romantikers“ (in Wahrheit eines Romantikers dritten Grades, nur noch gequält von der Sehnsucht nach der Romantik), die Schumanns wunderbarem Eichendorff-Liederkreis nahekäme. Pfitzner, der gute deutsche Anti-Expressionist, der sich für einen Romantiker hielt, war ja selbst schon wider Willen viel zu sehr infiziert vom pro­duktiven Bazillus des deutschzen Expressionismus, den er verdamm­te, um einen romantischen Dichter unschuldig adäquat interpretieren zu können.

Wenn die deutsche Seele sich wirklich zu langweilig, so pathetisch und donnernd lautstark manifestierte wie in Pfitzners Kantate, so wäre es schlecht um sie bestellt.

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