Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 26.05.1997

Will Humbug dirigierte das 8. Philharmonische Konzert im Kieler Schloß

Zwischen Hochgefühl und Brillanz

„Von Beethoven und an Beethoven vorbei“ könnte das Motto für das 8. Konzert des Philharmonischen Orchesters Kiel lauten, das im Schloß heute Abend wiederholt wird. Apart ist schon die Besetzung mit Orchestewr, Chor (samt Vokalsolisten) und gleich drei Pianist(inn)en und nicht minder apart das Programm.

Nehmen wir gleich das Eröffnungsstück: Beethovens einst viel, heute eher selten gespielte Fantasie für Klavier, Chor und Orchester op. 80 wirkt wie eine kleine Schwester der 9. Symphonie. Denn auch sie führt ein volkstümlich-sangbares (vom Komponisten aus einem eigenen Lied übernommenes) Thema durch die Instrumente ein und variiert sie, ehe überhöhend chorischer und solistischer Gesang einsetzt und zum fast ekstatischen Schluß führt. So wenig die Chorfantasie mit dem hochgespannten Ideengang der Neunten zu vergleichen ist, ging Beethoven hier andererseits noch einen Schritt weiter, denn sie durchmißt im Zeitraffer die Gattungen der Klavier-Fantasie (also der freien oder aufgeschriebenen Improvisation), des Konzertes und der Variation sowie der Kantate.

Die junge kroatische Pianistin Ana-Marija Markovina mußte anfangs einige Befangenheit überwinden (was ihr respektabel gelang), ehe sie zu ihrem Spiel fand. So wirkte das improvisatorisch-subjektive Element der Soloeröffnung noch zu unterkühlt. Doch die nicht zu unterschätzenden pianistischen Anforderungen meisterte sie zunehmend selbstbewußt, begleitete die Orchestersoli kammermusikalisch flexibel und ließ es an konzertantem Schwung nicht fehlen. Der Städtische Chor (Einstudierung Frank Meiswinkel) und das Solistensextett (Uta M. Hallaschka, Christa Forsén, Ilka von Holtz, Martin Fleitmann, Georg Tauern, Kurt Augenstein) sangen ihre Partien dem Text entsprechend Mit Lieb‘ und Kraft, und Gastdirigent Will Humbug animierte auch das Orchester – bei nicht ganz verständlichen Tempowechseln zu Beginn der Variationen – zu solchem Hochgefühl, daß zwar nicht Göttergunst, doch großes Hörerlob der Lohn war.

Das Konzert C-Dur op. 153 für Klavier zu vier Händen dürfte Carl Czerny, Beethovens Schüler und Etüden-Weltmeister aller Klassen, etwa in den 1820er Jahren geschrieben haben. Ob es überhaupt schon einmal in Kiel erklang? Am Sonntag früh erlebten wir die funkelnde Wiedergabe eines brillanten Werkes, das pianistisch meist mehr zu bieten hat als musikalisch. Reizvoll war der Blick in die alte Zeit virtuoser pianistischer Überredungskraft schon deshalb, weil Czerny – ähnlich wie Weber oder Hummel – den Weg von Mozart zur Romantik an Beethoven vorbei aufzeigt. Der vierhändige Part auf einem Instrument stellt meist die hohen Lagen in den Vordergrund. Frappierend funktionierte da die Aufgaben- und Temperamentsteilung zwischen Yaara Tal und Andreas Groethuysen, die eies der international führenden Vierhänderduos bilden: Agil, kapriziös und expressiv zeichnete Yaara Tal die Brillanzpassagen und Melodielinien, während Andreas Groethuysen mehr den integrativen Gegenpart beisteuerte, nicht ohne ganz plötzlich ebenfalls virtuos aus der Hüfte zu schießen. Daß es bei der Wiedergabe prickelte, war jedoch auch Will Humburg zu danken, der dem Orchesterpart vorausschauend, belebend und klangbewußt seine Aufmerksamkeit widmete.

Beethovens 7. Symphonie als Schlußstück provozierte lautstarke Bravos und Standing ovations für den Münsteraner GMD und das Kieler Orchester. Kein Zweifel, Humburg stand musikalisch und emotional auf gutem Fuß mit den Philharmonikern, faßte die Siebte überzeugend als kontrastreiche symphonische Einheit (ohne Zäsuren zwischen den Sätzen) auf und zeigte erneut, daß er weiß und ebenso selbstbewußt wie freundlich fordernd signalisiert, was er will.

Das Orchester war erneut hörbar mit Lust und (weithin) mit Erfolg bei der Sache. Der starke Applaus für Humburg, das philharmonische Kollektiv und seine Solisten war zweifellos berechtig!

MICHAEL STRUCK

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