Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 21.04.1993

Mozart-Konzert mit dem Budapester Hochschulorchester und dem Städtischen Chor unter Imre Sallay

Vital das Orchester,

klangvoll der Chor

Die Überraschung war groß, der Aufwand war groß, die Freude war groß, und am Ende gab’s dann auch überaus verdient — mit Mozart zu sprechen — „einen starken und anhaltenden Lärmen mit Hände­klatschen“. Das 5. Mozart-Konzert des Vereins der Musikfreunde brachte frischen Wind in die heilige Halle der Kieler Petrus-Kirche — und zwar bei einem Programm, bei dem man das nun wirklich nicht erwartet hatte.

Aber Imre Sallay, den Kielern vor allem als Leiter des Städtischen und des Opernchors bekannt, machte es möglich. Er vermittelte das Orchester der Budapester Hochschule „Franz Liszt“ aus seiner unga­rischen Heimat in unsere norddeutschen Gefilde (außer in Kiel gab es noch Konzerte in Rendsburg und Neumünster). Und er koordinierte Orchester, Städtischen Chor und Solisten bei Haydns heiklen Die sieben letzten Worte des Erlösers zu einer wirklich bemerkenswerten Interpretation.

Aber der Reihe nach. Der Abend begann ja mit Mozarts „Pariser“ D-Dur-Sinfonie KV 297. Die jungen Mitglieder des Orchesters bewiesen dabei eine enorme Präzision im Zusammenspiel — die Streicher selbst dort, wo typische Streicher-Fallen aufgestellt sind, was etwa den Fugato-Passagen im Finale sehr zugute kam. Wenn man Abstriche am (doch recht dumpfen, mulmigen) Klang machen mußte, so lag das an den verfügbaren Instrumenten und natürlich an den akustischen Bedingungen des Kirchenraums.

Ohne hier das Klischee von einer „urtümlichen ungarischen Musika­lität“ bemühen zu wollen: Das Ensemble zeigte, was sich mit Tempe­rament und Vitalität gewinnen läßt. Im ersten Satz beispielsweise; da ging es mit packender, dabei ohne künstlichen Nachdruck realisierter Kraft zu Werke und entwickelte das musikalische Geschehen aus der Energie-Ladung des Hauptthemas. Daß dieses Werk den Parisern zu­liebe mit äußerlichen Effekten spielt und diese Effekte Mozart zuliebe mit raffinierten Schattierungen wieder auffängt, davon bekam man dann eine Menge zu hören. Was man allerdings nicht zu hören be­kam, war der Andante-Zauber des langsamen Satzes. Irgendwie schien er den Ungarn nicht zu liegen und wirkte ziemlich neutral.

Das Hauptereignis des Abends war freilich die Oratorien-Version von Joseph Haydns Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuze. Beeindruckend, wie Imre Sallay die naheliegenden Gestaltungspro­bleme sicher umging. Statt das ohnehin opulente Stück mit seinen durchweg langsamen Sätzen in Kleinteiligkeit zerbröseln zu lassen, nahm er die Tempi durchweg ziemlich zügig. Die Gefahr einer tranig-pathetischen Interpretation vermied er mit kräftigen Akzenten und einem dynamisch sehr ausgeprägten Relief. Und anstatt das Stück in weihevoller Klangfülle auszubreiten, präsentierte er schlanke, span­nungsvolle, oft geradezu impulsiv entfaltete Konturen.

Begeisternd, wie der Städtische Chor da mitzog. Ein recht guter Blickkontakt zu Sallay und eine große Portion Verständnis für die Interpretation machte es möglich: Nur gelegentlich ein wenig intona­tionsgetrübt, brachte der Chor sich präzise, klangvoll und engagiert ein ins musikalische Geschehen. Ebenso das Orchester, dessen ge­naue Artikulation und energische Diktion entscheidend zum kompak­ten Gesamteindruck beitrugen. Empfindsamere Töne brachten die Gesangssolisten ein: Brigitte Lindner und Marita Dübbers, Martin Fleitmann und Carlos Meyer, allesamt mit schlanken Stimmen, zurück­haltender Präsenz und sensibel-schlichter Gestaltung.

Nuancen von Melancholie, Agonie oder Trauer suchte man bei dieser Gesamtinterpretation freilich vergebens. Aber dafür bekam man eine konsequent vitale Durchgestaltung, die musikalisch von innerer Bewegung und Kraft erzählte. T.K.

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