Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 16.03.1983

Himmlische Harfen

Liszts Dante-Sinfonie im 6. Konzert der Kieler Philharmoniker

KN: ROLF GASKA   Kiel

Der Kieler Generalmusikdirektor Klaus Weise führte im 6. Konzert der Kieler Philharmoniker seinen Plan weiter aus, den Kielern die Kenntnis selten gespielter Werke Franz Liszts zu vermitteln. Im letzten Jahr brachte er die „Faust“-Sinfonie in Erinnerung, jetzt die Sinfonie zu Dantes „Divina Commedia“, auch diese ins Monumentale drängend, mit großer Besetzung, Orgel und Frauenchor.

Wurde die Aufführung dem Werk wirklich in jeder Phase gerecht? Am genauesten schien die dramatische Heftigkeit des „Inferno“ ge­troffen, wo sich die instrumentale Kraftentfaltung in gleichsam eherne Formen gießt: Unisono-Thema, Trompeten-Fanal. Liszt als verkappter Musikdramatiker. Hier hatte das Orchester seine großen Momente. Das „Purgatorio“ hingegen hätte mehr Präzision gebraucht, und zwar sowohl im Zusammenspiel wie im Abwägen von Ausdrucksqualitäten. Der Satz zerfiel in — manchmal faszinierende — Einzelheiten, Voraus­ahnungen darunter, die andere Komponisten viel später erfüllten.

Im abschließenden „Magnificat“ schließlich drängte sich eine engel­süß harfende Religiosität hervor, die man sicher nicht den Interpreten vorwerfen darf, die aber doch erklärt, wieso die „Dante-Sinfonie“ rezeptionsgeschichtlich zu den glänzenden Ladenhütern des 19. Jahr­hunderts zählt. Die Damen des Städtischen Chors, einstudiert von Georg Metz, erfüllten ihre himmlische Partie mit wohlklingendem irdischem Leben. Etwas zu robust — wenn schon denn schon — ließ Klaus Weise die göttliche Komödie ausklingen: Liszt und sein Freund Wagner dachten wohl an einen Pianissimo-Paradieseshauch.

Maurice Ravels Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand, ein Unikum der Musikgeschichte und eine Attraktion auf den Konzertprogrammen, figurierte als zweite Rarität des Abends im Kieler Schloß. Babette Hierholzer, eine junge Pianistin mit gewaltiger Kraft in der Linken und musikalischem Temperament im Leibe, erspielte sich einen schönen Erfolg. Virtuos illuminierte sie den stürmischen Fortriß dieser Musik, die Sehnsüchte, Fratzen und Tollheiten. Das Orchester glänzte in Ravel­schem Kolorit, brillierte mit exaktem Schlagzeug, sensiblen Bläsern und klangschönen Streichern.

Bevor dann Mozarts Prager Sinfonie D-Dur KV 504 den Abend abschloß, rätselten Liebhaber und Gelehrte über Babette Hierholzers Zugabe. Die Tips reichten von später Barock-Adaption bis umgeschrie­bener Violin-Etüde. Die Pianistin, die das Stück in halsbrecherischem Tempo und dennoch mit verständlicher Grammatik vorführte, gab später dem VdM Auskunft: Es handelte sich um eine Toccata in d-Moll von Domenico Scarlatti.

Die „Prager“ erinnerte daran, daß in Kiel die Premiere der „Zauber­flöte“ bevorsteht. Obgleich die Sinfonie in vielerlei Hinsicht Mozarts reife Opern assoziativ und ahnungsvoll umfängt, hütete sich Klaus Weise, sie musikdramatisch zu verstehen. Die Wiedergabe lebte vom geschmeidigen Ineinanderfließen musikalischer Gebärden, hatte etwas Tänzerisches. Reale und emotionale Bewegungen liefen durch alle Orchesterstimmen hindurch. Die unnachahmliche und nie wieder erreichte Mozartsche Verbindung von Kantabilität, Leichtigkeit und Polyphonie: man durfte sie hier bewundern, obgleich — wie man weiß — die philharmonischen Violinen strahlender, die philharmonischen Holzbläser differenzierter agieren können.

Daß es vor und während der Aufführung zu kleinen Abwanderun­gen kam, lag gewiß nicht an Mozart und seinen Interpreten. Die vorausgegangenen Werke, so beifällig aufgenommen wie Mozart, hatten die Aufnahmefähigkeit schon fast erschöpft.

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