Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 03.01.2019

Spitze Stacheln und pure Euphorie

Beethovens „Neunte“ unter GMD Georg Fritzsch im Kieler Neujahrskonzert

VON CHRISTIAN STREHK

KIEL. In seiner außergewöhnlich beständigen Amtszeit sind beson­ders profilierte Beethoven-Interpretationen eine bemerkenswerte Konstante: der Fidelio, die Beethoven-Serie in den Musikfreunde-Mozartkonzerten, die fünf Klavierkonzerte mit Gerhard Oppitz und punktuelle Glanzlichter in den Schloss-Konzerten – darunter nun zum sechsten und wohl letzten Mal die berühmte Neunte unter Georg Fritzsch als zügiger Neujahrskracher. Immer sucht und findet der Generalmusikdirektor den revolutionären Stachel, mit dem der Wiener Klassiker schon seine Zeitgenossen aus der Komfortzone piekte und den Nachfahren unübertreffliche spitze Vorlagen lieferte.

Wieder ist unter Fritzsch in der d-Moll-Symphonie op. 125 von 1824 nichts bloß biedermeierlich gemütlich, frühromantisch magisch oder staatstragend würdig. Von den ersten Tönen an brodelt die Motiv-Ursuppe maximal nervös. Dann bricht das Hauptthema mit kantiger Macht hervor. Der kleine Chor der Streicher, der romantisch weichzeichnende Vibrato-Schwingungen weitgehend vermeidet, lässt den Bläsern Raum zur Entfaltung. Und die spüren einem historischen Klangideal nach: von den weichen Holzflöten über die schnarrenden Naturhörner bis hin zu den knackig militärisch fokussierten Trompeten und Posaunen alter Bauart oder den bedrohlich knatternden Pauken.

Auch wenn aufgrund begrenzter Probenzeit (Die Philharmoniker sind in der Feiertagszeit unter Volllast) im Scherzo nicht jeder Wider­haken-Akzent perfekt sitzt und im gefährlichen Adagio noch kleine Spannungsbrüche zu beseitigen wären, wird man wohl in der noch immer reichen deutschen Neujahrskonzert-Landschaft nur wenige derart steile Interpretationen aus der Harnoncourt-Ecke zu hören bekommen.

Besonders gelungen? Eindeutig das Finale! Schon seine vorge­schalteten instrumentalen Rezitative „sprechen“, die Rückblenden in die vorangegangenen Sätze sind optimal eingepasst, das Schiller-Thema schleicht sich wunderbar flüsterleise heran.

Der Bass Friedemann Röhlig bringt die nötige stimmliche Schlag­kraft für den Freuden-Appell mit, auch wenn nicht alle Töne sauber sitzen. Agnieszka Hauzer besteht die irrwitzigen Sopran-Kapriolen souverän leuchtkräftig, die Mezzosopranistin Tatia Jibladze fügt sich optimal ins Solisten-Ensemble und der Tenor Kai Kluge trifft im gefürchteten Sonnen-Marsch trotz einer kleinen Verirrung genau den hochfliegenden Tonfall eines jugendlichen Helden.

Hatte man vor der Ode an die Freude vielleicht noch darüber nachgedacht, ob man Schillers Text nicht doch im Programmheft abdrucken müsste, da überzeugen die gut 90 Chorstimmen mit exemplarischer Sprachmächtigkeit und Ausdrucksenergie. Fritzsch fordert und erhält von den glücklich vereinten und abgemischten Chören Jubel-Euphorie pur: von den durchdringenden Opernchor­profis, den erfahrenen Ehrenamtsstimmen vom Philharmonischen Chor (beide einstudiert von Lam Tran Dinh) sowie den jung glitzern­den Leuchtraketen, die die Akademisten des Kinder- und Jugend­chores (Einstudierung: Moritz Caffier) in Beethovens unerhörten Höhenflügen abfeuern. Ovationen im ausverkauften Saal!

Die Neunte unter Fritzsch

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