Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 28.03.1952

Missa solemnis

Gedenkaufführung des Städtischen Chors in Kiel

Beethoven hat zwar immer die Missa solemnis für seine höchste Leistung gehalten, aber als er vor 125 Jahren starb, konnte niemand ahnen, daß eines seiner geistig und technisch schwierigsten Werke später einmal eine solche Anziehungskraft entwickeln, daß es so sehr die aufrichtige Bemühung der Menschen um seinen wirklichen Sinn herausfordern würde. Wie man die Missa auch anfaßt und deutet, ob vom Kirchlichen, ob vom Ausdruck her, es wird immer ein ungelöster Rest bleiben. Das vielschichtige Werk lebt in mehreren Dimensionen und entzieht sich der Festlegung auf Norm und Gesetz. Vielleicht tut man am besten, Beethovens schlichten Worten zu folgen: „Von Hert­zen möge es zu Hertzen gehen.“ Gerade die großen Leistungen der Kunst lassen wieder das Technische weit hinter sich . . .

Die Wiederaufführung durch den Städtischen Chor befestigte im Ganzen die guten Eindrücke des vorigen Jahres. Die lange und inten­sive Probenarbeit (unter der nun schon bewährten Leitung Karl Eckerts), das wirtschaftliche Risiko des eigenen Konzertes, fanden in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche und in der künstlerischen Leistung schönsten Lohn. Georg C. Winkler stellte die starken Gegen­sätze des Werkes, an denen es ja wahrlich reich ist, sehr eindrücklich heraus. Er steigert Zeitmaß und Dynamik. Die Missa wird zum Drama. Chor und Orchester folgen ihm dabei unbedingt und zuverlässig. Der Sopran hat es in den hohen Lagen nicht immer leicht, einen so star­ken Ausdruckswillen mit guter Tongebung zu verbinden. Doch hat sich der Städtische Chor nun schon mehrfach als wertvoller Mittler erwie­sen, zumal die Männerstimmen nach Zahl, Können und Ausddruck den Frauenstimmen voll gewachsen sind. Imponierend die Wucht und Geschlossenheit der großen Fugen, ohne Tadel und überlegen die rhythmische Sicherheit etwa der langen synkopierten Stellen, das Piano mehrfach wundervoll verhalten und tragend.

Die vom letzten Jahr her bekannten Solisten bestätigten das gewonnene Bild. Hanna Ulrike Vassall hielt sich dieses Mal allerdings merkwürdig stark zurück, so daß die Stimme im Gewebe der anderen etwas verblaßte und nur kurze Augenblicke ahnen ließen, was an Schönheit und Leuchtkraft in ihr steckt. Ilsa Ihme-Sabisch und Walter Geisler vertraten ihre Partien stimmlich und ausdrucksmäßig ausge­zeichnet. Die tief schürfende Musikalität Hans-Olaf Hudemanns, seine seelische Wärme lassen den etwas farblosen Stimmklang und die Begrenzung des Volumens fast vergessen. Lothar Ritterhoff gab nicht nur die übliche gleitende Schönheit der Gesangslinie, sondern gestal­tete bis zum Ende intensiv, ja, dringlich den Benedictus-Satz von der Geige aus mit. Bestimmender Antrieb des Ganzen immer wieder der Stab Georg C. Winklers, der voll war der formenden, deutenden Kraft.

Dr. H. St.

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Siehe auch: J. R. und Dr. S.

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