Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 12.03.1990

Werke von Liszt, Bartók und Janáček im 6. Kieler Sinfoniekonzert unter Klauspeter Seibel

Schwierig-Schönes aus osteuropäischer Klangphantasie

Liszt war ein Ungar von deutscher Sprache und französischer Bildung: ein Weltmann. Man könnte kriteln, seine sinfonische Dichtung Hamlet passe schwerlich in das osteuropäische Programm, das sich GMD Klauspeter Seibel für das 6. Kieler Sinfoniekonzert ausgedacht hat. Aber es gibt noch andere Gründe als die nationale Herkunft, Liszt in diesen Zusammenhang zu stellen.: Er hat in späten Jahren den Kontakt zur russischen Musik gesucht und gefunden.

Hamlet (1858), eine fast vergessene Schauspielouvertüre, will einen zerrissenen, schwankenden Charakter nachzeichnen. Seibel sieht das Stück wohl zu Recht undramatisch und unpathetisch. Er hält den Klang durchsichtig und schlank, gibt den Bläsern Raum für sprechende Melodik. Und so — ohne allen Bombast, die lyrische Ophelia-Reminiszenz innig ausmusiziert — tut die Komposition eine unspektakuläre Wirkung.

Schwierig-Schönes folgt. Ein zentrales Werk von Belá Bartók, die Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (1936), nimmt das Orchester wahrhaft ins Gebet. Äußerlich fällt die stereophonische Symmetrie der Aufstellung der Instrumente auf. Doch die Musik enthält vor allem innere Symmetrien, Spiegelungen und dergleichen, Formgeheimnisse von weitreichender Bedeutung. Sie ist ein Kosmos.

Eine lineare Bewegung führt von der Chromatik des ersten Satzes zur Diatonik des letzten, von dem verschlungen-grüblerischen Pfad einer Fuge zum vitalen Fortriß einer Rondoform. Dennoch hat — auch hier bei den Kieler Philharmonikern — jeder Satz seine Eigenart. Die Fuge klingt seidig-versponnen, ganz zurückgenommen, schwebend am Ende im Medium der Celesta. Im Kontrast dazu harte Rhythmik von Klavier und Schlagzeug im 2. Satz: Scherzo-Stimmung, die ungestümer sein dürfte, einsatzsicherer und schärfer in der Pizzicato-Genauigkeit. Das Adagio, mit Xylophon und Pauke Naturlaute anstimmend, schmeichelt mit träumerischer Nachtmusik, das Finale wirkt farbig und klar wie ein volkstümlicher Bilderreigen.

Gelegentlich wirkte die Interpretation am Sonntagmorgen noch unfertig. Sie läßt sich im Detail sicher bestimmter, stimmiger, charakte­ristischer fassen — vorausgesetzt, man nimmt sich die Zeit dazu, die offenbar Leoš Janáčeks Glagolitischer Messe gewährt wurde. Seibel, der damit an die Kieler Katja Kabanowa-Inszenierung anknüpft, gelingt eine überzeugende Aufführung, die der so fremdartig klingenden Messe-Komposition neue Freunde gewinnen wird.

Imre Sallay hat mit dem Städtischen Chor hart gearbeitet, auch an dem Altkirchenslawisch des Textes. Das Ergebnis: ein bewunderns­wert intonationssicherer, scharf artikulierter, ausdrucksmächtiger Chorpart, der sich hervorragend in das gesamte Klangbild einfügt.

Die Grundharmonien und Grundschwingungen der Messe — so erlebe ich es — sind die von Glocken: immer wieder gebrochene Akkorde in den Streichern, dann dies schwere Pendeln des Blechs, schließlich die fast allgegenwärtige Harfe. Die orthodoxe „Glöckchen­musik“, die noch bei Arvo Pärt oder den modernen Russen lebt, wirkt da als ein Element des Sakralen hinein — ebenso wie die Solisten­stimmen deutlich dem religiösen Ritus verpflichtet sind.

Das tritt unter Seibels Leitung ganz klar zutage, nicht zuletzt, weil er die Tempi nirgends zu schnell macht, Zeit läßt zu atmen und zu hören. Im Wechselgesang mit dem Chor kommen vor allem die Sopra­nistin Graciela von Gyldenfeldt (die Kieler Katja) und der Tenor Joe Turpin mit der Strahlkraft ihrer Stimmen zur Geltung, während dem Bassisten Attila Kovács und der Altistin Marita Dübbers von Janáček eher bescheidene Partien zugedacht sind, die freilich mit größter Bewußtheit gestaltet werden. Der Organist Michael Petermann gibt seinem Solo eine Registrierung, die heftige Expressivität zugunsten von differenzierterem Ausdruck zurücknimmt.

Starker Beifall, Bravorufe nach der Mša glagolskaja. In der Tat, das Ergebnis hat die Anstrengung gelohnt. Wiederholung heute abend 20 Uhr im Kieler Schloß. ROLF GASKA

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